Ich hatte in letzter Zeit immer häufiger den Gedanken, das wir in unserer Gesellschaft ein verkorkstes Verständnis vom Begriff Stolz haben. Oder wenn nicht verkorkst, dann zumindest ein ungenaues Verständnis davon. Das störte mich aus Gründen, die für mich wenig greifbar waren. Es war ein Bauchgefühl. Ich folgte diesem Gefühl und glaube etwas schlauer geworden zu sein. Meine Erkenntnisse teile ich gerne mit dir in diesem Beitrag.
Stolz ≠ Stolz
Stolz haben oder stolz zu sein – es begegnet uns überall. Sei es ein US-Amerikaner, der einen gewissen Nationalstolz hat, oder aber die Schülerin, die stolz darauf ist, eine gute Note in einer Klausur zu erhalten. Ich genoss meine Ausbildung unteranderem in einer gut durchmischten Grundschule in der Schweiz. Etwa die Hälfte meiner Schulkollegen hatten Migrationshintergrund. Die meisten kamen aus dem Balkan und wer schon mal mit Leute aus dem Balkan zu tun hatte, weiss höchst wahrscheinlich auch, dass sie (meist) einen gewissen Nationalstolz pflegen. Ich, der Migrationshintergrund aus Deutschland und den Philippinen habe, hatte das nie so recht verstanden. Nationalstolz wurde mir – anders wie es bei meinen Schulfreunden schien – nie mit der Muttermilch mitgegeben.
Trotzdem glaubte ich intuitv sagen zu können, das Stolz nicht prinzipiell etwas Schlechtes ist. Eine Mutter beispielsweise, die Stolz darauf ist, was ihre Tochter aus sich gemacht hat; darin sah ich kein Übel. In Nationalstolz dagegen schon eher… Aber auch da konnte ich zu Beginn nicht mit dem Finger auf mein Problem damit zeigen. Ich fande es vor allem etwas Dummes. Im Fall von meinen balkanischen Schulkollegen suchten sie sich ja nicht ihre Nation aus. Wie wir alle sind sie ohne Fragen in diese Welt geboren worden. Wie wir alle haben sie sich ihre Eltern und somit auch ihre Herkunft nich ausgesucht. Stolz auf seine Nation zu sein kam mir etwa so vor, stolz darauf sein, dass man im Lotto gewonnen hat – im Herkunftslotto. Der Lottospieler hat ja nichts dafür geleistet. Geleistet – das ist das ausschlaggebende Wort…
Leistung
Die Schülerin die eine gute Note geschrieben hat, die hat etwas geleistet. Darauf kann man stolz sein. Von einem bestimmten Land zu stammen, dafür hat man nichts geleistet. Naja, stimmt auch nicht ganz. Im Fall der USA handelt es sich beispielsweise um ein Willensnation. Einige Leute sind vor ein paar hundert Jahren ausgewandert und haben sich auf der nördlichen amerikanischen Kontinentalplatte zusammengetan und entschieden eine Nation zu bilden – nach ihren Vorstellungen und Werten. Das ist durchaus eine Leistung auf die man Stolz sein kann; genau wie bei der Mutter, die stolz auf die Leistung ihrer Tochter ist. Jetzt liegt die Gründung der USA aber schon einge Jahre zurück. Wie verhält es sich mit heutigen US-Amerikanern, die Stolz auf ihre Nation sind?
Title und Entitlement
Mittlerweile konnte ich meine Schulfreunde aus dem Balkan etwas besser verstehen. Man könnte sagen, sie waren Stolz auf die Leistung ihrer Nation, der Leute und/oder deren Kultur. Allerdings hätte ich ihnen zu sagen, dass sie ganz genau für sich definieren müssen, auf was sie stolz sind:
Welche Leistung hat deine Nation erbracht auf die du stolz sein kannst? Und inwiefern trägst dazu bei?
Ich glaube nämlich, wer sich mit einem Titel rühmt ohne auch seine Taten dafür sprechen zulassen, läuft Gefahr zum Entitlement. Wer stolz ist fordert nämlich immer auch Achtung – vielleicht sogar Respekt – und wer nichts für Achtung und Respekt macht, bekommt entitled. Man glaubt Anspruch auf etwas zu haben, wegen einem Titel ohne irgendetwas für diesen Titel gemacht zu haben. Das Problem damit ist, dass der eigene Titel und die erbrachte Leistung an Achtung und Respekt verlieren.
Fremde Leistung und deine Leistung
Ein weiteren wichtigen Aspekt, den ich bereits tangiert habe, ist die Unterscheidung, ob es deine oder eine fremde Leistung ist, auf die du Stolz bist. Stolz für jemand anders ist ein Statement und ein Versprechen. Ein Statement dafür, dass du die fremde Leistung und die Werte, damit einhergehen, hochhälst. Und ein Versprechen dafür, dass deine zukünftigen Leistungen ebenfalls diesen Werten entsprechen. Es ist somit ein Versprechen, dass du zu deinen eignen Werten hochlebst. Wenn du das nicht kannst, hat dein Stolz (auf fremde Leistung) keinen Wert. Wenn du als jahrelanger Harz-4-Empfänger (der eigentlich arbeiten könnte) stolz darauf bist, dass dein Freund einen Job bekommen hat, hat das keine Bedeutung. Aber auch wenn du stolz auf deine Leistung bist, geht damit die gleiche Verpflichtung einher. Wer sich nämlich auf seinen Lorbeeren ausruht, läuft Gefahr die Bedeutung seines Titels in die Belanglosigkeit zu ziehen. Das heisst:
Wer Stolz pflegt, muss sich immer wieder aufs Neue beweisen.
Scham, Stolz und ein Mittelweg
Ich glaube, die meisten Leute hätte gesagt, das Gegenteil von Stolz ist Scham. Unabhängig davon, ob dem so ist oder nicht, ist Scham nicht die einzige Alterative zum Stolz. Ein Mittelweg ist Selbstachtung und Selbstrespekt – vor deinen Leistungen und den Fähigkeiten, die damit einhergehen. Ich hätte gesagt, wenn du einen gewissen Stolz pflegen willst, dann in genau das – in deine Leistungen und den Fähigkeiten, die damit einhergehen.
Habe Stolz in deinen Taten – nicht in deinen Titel.
Ich denke, wer mit dieser Herangehensweise über Stolz denkt, ist ehrlicher zu sich selbst und fällt weniger wahrscheinlich in die Falle der Selbstgerechtigkeit. Zu guter Letzt kümmert sich der Titel um sich selbst.
Der Titel folgt, wo Taten sprachen.